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J. Heilige und Reliquien vorherige Seite nächste Seite
Die Frage nach dem Heil des Menschen und seiner Vermittlung sind Grundanliegen und -bedürfnis nahezu jeder Religion. Im christlichen Sinne meint Heil eine existenzielle, endgültige Heilung, Erfüllung und damit Tröstung des Lebens in allen Dimensionen durch die Hineinnahme des Menschen in die göttliche Lebensfülle. Für den Christen liegt den Geschicken der Menschen insgesamt ein umfassender Heilsplan Gottes zugrunde. Die Erfahrungen von Schuld, Tod und der Bedrohtheit des Daseins zeigen jedoch immer wieder auf, dass das Heil nicht vom Menschen selbst tätig herbeigeführt werden kann, sondern durch das erlösende Handeln Gottes. In ihrer Heilsbedürftigkeit suchte die Gesellschaft des Mittelalters nach Möglichkeiten der Vermittlung von Heil - eine Funktion, die den Reliquien als "Heiltümern" zugewiesen wurde.

Die Geschichte der Verehrung von Heiligen und Reliquien beginnt bereits im christlichen Altertum mit der Verehrung von Märtyrern (Blutzeugen), die in den Ursprüngen einen gesteigerten antiken Totenkult darstellt. In diesem Zusammenhang wurden die Überreste (lat. "reliquiae") von Körper, Kleidung und Gebrauchsgegenständen Heiliger Objekte der Verehrung. Die Gläubigen erinnerten sich so des Verstorbenen, hofften zugleich seine Fürsprache zu erhalten und vor allem seiner heilbringenden Kraft, der Virtus, teilhaftig zu werden. Die Reliquien boten damit eine irdische Vergegenwärtigung der den Heiligen im Himmel zuteil gewordenen Heilskraft, die als ihr Verdienst von göttlicher Macht hergeleitet wurden. Folglich konnten die Reliquien Wunder wirken und wurden als wertvoller angesehen als die sie umgebenden, oft sehr kostbaren Reliquiare. Daraus ergaben sich oft negative Begleiterscheinungen: Reliquien wurden Objekte eines oft schwunghaften, teils europaweiten Handels, sie verlangten nach Schutz vor Raub, Betrug und Fälschung. Im Spätmittelalter erreichte die Reliquienverehrung in Folge der seinerzeitigen Frömmigkeitsvorstellungen einen ersten Höhepunkt. Das Konzil von Trient bestätigte den Reliquienkult ebenso wie die Verehrung von Heiligen, versuchte aber auch Missbräuche zu beseitigen. Gleichwohl kam es in der Barockzeit zu einer gesteigerten Zurschaustellung und Inszenierung der Heiltümer, der gleichzeitig eine Reduktion auf das Visuelle innewohnte. Nach einem weiteren Höhepunkt im 19. Jahrhundert kommt der Reliquienverehrung in der pastoralen Praxis der Moderne fast keine Bedeutung mehr zu.

Christliche Heiligenverehrung umfasst indessen neben dem Reliquienkult eine Reihe weiterer Aspekte. Erinnert sei lediglich an die Auswirkungen auf Kunst und Literatur; allein die hagiographischen Texte des Mittelalters zählen nach Tausenden. Wichtige Funktionen erlangte der kirchliche Festkalender, der sich vor allem aus den Fest- und Gedenktagen der einzelnen Heiligen zusammensetzt und im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder - zuletzt 1969 - Reformen erfahren hat. Noch bis heute sind Reste jener Vorstellungen lebendig, die an die Heiligen als Patrone von Ländern, Bistümern, Städten, Kirchen, Korporationen (Zünften, Vereinen) oder als Namenspatrone einzelner Menschen verknüpft waren und sind. Die Heiligen wurden nicht nur als Schützer und Vorbilder angesehen, sondern gleichsam als juristische Personen und damit als Eigentümer etwa einer Kirche (vgl. C 2). Mit dem päpstlichen Reservat des Heiligsprechungsverfahrens versuchte die Kirche schließlich seit dem 13. Jahrhundert die teilweise ausufernde Heiligenverehrung zu objektivieren. Heute sind einerseits traditionelle Formen der Heiligenverehrung insgesamt in den Hintergrund getreten, und die wissenschaftliche Theologie äußert sich eher zurückhaltend zur Heiligenverehrung. Andererseits beläuft sich die Zahl der vom derzeitigen Papst Johannes Paul II. vorgenommenen Heilig- und Seligsprechungen auf über 500. Analog dazu wurden gesamtkirchlich große Anstrengungen unternommen, um ein Verzeichnis der Märtyrer des 20. Jahrhunderts zusammenzustellen.

Für die Stadt Köln ist ein Phänomen anzusprechen, das in vergleichbarer Weise lediglich noch in Rom zu finden ist: das "Kölner Heil". Dieser Begriff tritt als solcher zwar nicht in den zeitgenössischen Quellen auf, umschreibt aber zutreffend eine Bewusstseinshaltung der Einwohner des mittelalterlichen Köln und bildete letztlich den geistigen Kern für die hohe Bedeutung der Stadt. Eng verbunden, ja grundlegend ist er zudem für den Ehrentitel der "Sancta Colonia". Verkörpert wird das Kölner Heil in erster Linie von der Vielzahl und Qualität der Reliquien, der Heiltümer, welche die Stadt in ihren Mauern barg und die gleichsam die dinglichen Unterpfänder des Ortsheils darstellten. Das Fundament bildeten die heiligen Gereon und Ursula, zu denen in zeitlicher Schichtung weitere Kölner Märtyrer und Heilige traten. 1164 gewann Köln mit den Gebeinen der Heiligen Drei Könige einen außerordentlichen Schatz im Hinblick auf die Heilsgeschichte, der zudem noch ein Kapital von enormem politischem und wirtschaftlichem Gewicht darstellte. Die kirchlichen Einrichtungen der Stadt bargen die Leiber vieler Heiliger in wertvollen Schreinen, die wiederum in prächtigen Gotteshäusern aufgestellt wurden. Auf diese Weise fand eine Einbindung in den konkreten Prozess des Stadtausbaus statt, denn die Bauentwürfe der Gotteshäuser gaben dem Ortsheil von Köln sichtbaren Ausdruck. Zusätzlich vermochte die seit 1180 errichtete mächtige Stadtmauer die Gesamtstadt zum Abbild des Himmlischen Jerusalem zu erheben. Das Bewußtsein vom "Heiligen Köln" strahlte weit über die Stadt hinaus und trug viel dazu bei, dass Köln Weltstadt, rheinische Metropole und zentraler Ort des Erzbistums wurde. vorherige Seite

Die Goldene Kammer in der Kirche St. Ursula zu Köln. 1643/1644.
Die Goldene Kammer in der Kirche St. Ursula zu Köln. 1643/1644.


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